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21. Februar 2015CD Review: Steven Wilson – Hand. Cannot. Erase.

Künstler: Steven Wilson
Titel: Hand. Cannot. Erase.
Label: Kscope/Edel
Genre: Progressive Rock
VÖ: 27.02.2015
Spielzeit: 65 Minuten
Wertung: 5/5
Wenn Steven Wilson ein neues Album veröffentlicht, dann scheint es so, als hielte die Progressive-Rock-Welt kurz den Atem an. Nicht weniger als ein neues Meisterwerk wird erwartet, ein Album des Jahres mindestens. Gleichzeitig fragt man sich aber, wie die Vorgängeralben getoppt werden können. Veröffentlicht nicht auch der talentierteste Musiker mal nur Durchschnitt? Spürt Wilson diesen immensen Druck, wie geht er mit den Erwartungen um und wie wirken sie sich auf die neue Musik aus?
Am 27. Februar legt Wilson mit „Hand. Cannot. Erase.“ sein viertes Studioalbum als Solo-Künstler vor. Wie schon beim Vorgänger („The Raven That Refused to Sing (And Other Stories)“, 2012) handelt es sich um eine Art Konzeptalbum – dieses Mal allerdings weniger musikalisch, sondern mehr thematisch. Während „Raven“ gut als Progressive-Album der 70er Jahre durchgegangen wäre, vereint Wilson auf der vorliegenden Platte erstmalig sein gesamtes (riesiges) musikalisches Spektrum. Die drängendsten Fragen sind damit schon beantwortet: Die neue Scheibe ist kein „Raven Part II“ und sie ist auch (endgültig!) keine Solo-Fortführung der Porcupine Tree Pfade. „Hand. Cannot. Erase.“ legt tatsächlich noch eine Schippe drauf und nimmt den Hörer mit in neues Level – Steven Wilson 2015.
Die Geschichte, die den Rahmen für die Stücke auf dem neuen Album bildet, basiert auf dem wahren Schicksal von Joyce Vincent. Sie lebte 2003 in London, hatte Familie, einen Freundeskreis, war politisch engagiert und finanziell abgesichert. Sie verschwand von der Bildfläche und niemand bemerkte es. Die 38-jährige starb in ihrer Wohnung und lag dort fast drei Jahre unentdeckt. Wilsons Protagonistin stirbt nicht. Die Malerin löscht sich selbst aus und verschwindet aus einer Welt, mit der sich nicht mehr verbunden fühlt. Symbolisiert wird dies durch das übermalte Foto auf dem Cover.
So wie die Geschichte ist auch der Sound des Albums klar im 21. Jahrhundert angesiedelt. Er ist moderner, urbaner als beim Vorgänger und bettet die Ereignisse emotional ein. Trotz der folgerichtigen Einflüsse aus Electronic Pop, Ambient und einigen Death Metal Riffs ist Wilsons musikalische DNA sofort und an jeder Stelle des Albums herauszuhören. Ob es der Plattenfirma wirklich nur um Aufmerksamkeit ging, als sie „Perfect Life“ vorab veröffentlichte, kann man nur raten. Im Gesamtkonzept klingt dieser Song – der ausschließlich aus einem Electro-Beats und einem gesprochenem Text besteht – absolut schlüssig und gut platziert. Isoliert und als Einzelsong ist er weder besonders hitverdächtig, noch stellvertretend für das Album.
Musikalisch startet das Album – nach einem atmosphärischen Intro – mit dem Wilson-typischen „3 Years Older“. Es fühlt sich an wie ein Wiedersehen mit einem alten Freund. Sounds, Instrumente und Songwriting sind so typisch Steven Wilson, dass sich der Hörer nach der großen Erwartungsanspannung erstmal entspannen kann. Gleichzeitig ist der über zehn Minuten lange Track modern, independent und progressiv zugleich und so abwechslungsreich, dass manch andere Band mit den Ideen drei Album füllen könnte.
Der folgende Titel-Song ist vielleicht das exemplarischste Stück des Albums. Es ist mit etwas über vier Minuten sogar radio-kompatibel und wäre damit vielleicht die schlauere Vorabveröffentlichung gewesen. Für die Nerven der Fans allemal.
Die israelischen Sängerin Ninet Tayeb ist zum ersten Mal in „Routine“ zu hören. Ihre Stimme ergänzt die Geschichte hervorragend und unterstützt die Dramaturgie des knapp neun Minuten langen Stückes. In der Mitte des Songs darf auch der fantastische Guthrie Govan zu einem kleinen Gitarren-Solo ansetzen, das jedem weiche Knie bescheren müsste. Zum Abschluss wird das Duett von Wilson und Tayeb sogar noch von einem schaurig-schönen Kinderchor untermalt.
„Home Invasion“ startet dann auch entsprechend rau. Es bahnt sich metallisch und fordernd seinen Weg durch den Gehörgang, während das eben noch so weiche Knie den recht zügigen Beat mit wippt. Das anschließende „Regret #9“ besticht vor allem durch sein langes und wunderbares Synthesizersolo von Adam Holzmann.
Es folgen die – schon von der Tour 2013 – bekannten Songs „Ancestral“ und „Happy Returns“. Ersteres nimmt sich in gute 13 Minuten jede Menge Zeit sämtliche denkbaren Emotionen und Geschwindigkeiten auszuprobieren, die denkbar sind. Ein spannendes und aufregendes Wechselbad der Gefühle, dass sich bei jedem weiteren Durchlauf neu erschließt. „Happy Returns“ und das anschließende Outro runden ein vollkommenes Album ab, welches keine Wünsche offen lässt. Es hat allemal das Potential dazu, den dritten Platz des Vorgängeralbums in den deutschen Charts zu toppen.
Ein wunderbarer Gegenentwurf aus ernstzunehmender, anspruchsvoller Musik zu den Unmengen trivialer und austauschbarer Musik, die Woche für Woche veröffentlicht werden. Auch die Veröffentlichungsweise unterstreicht das. Die limitierte Deluxe Edition des Albums erscheint als großformatiges Artbook und enthält neben einer weiteren CD (Demo-Versionen), eine Blu-ray und eine DVD (jeweils mit 5.1 Audio Mix) einige Beigaben, die die Geschichte des aus den Stücken umschließen. Es gibt ein Tagebuch, ein Skizzenbuch und viele weitere Dokumente der Protagonistin. Während beim Label Kscope bereits Wochen vor der Veröffentlichung die gesamte Auflage dieser Version vergriffen war, sind beim Deutschlandvertrieb noch einige Exemplare erhältlich. Das Album erscheint außerdem als normale CD, als limitierte CD/DVD-Version, als Blu-ray und als Doppel-Vinyl.
Für die kommende Deutschland-Tournee hat Wilson angekündigt, dass er die aktuellen Stücke mit älteren mischen wird. Darunter werden auch Porcupine Tree Songs sein. Die meisten der sechs Deutschland-Termine sind allerdings bereits seit Wochen ausverkauft.
Playlist:
First Regret
3 Years Older
Hand Cannot Erase
Perfect Life
Routine
Home Invasion
Regret #9
Transience
Ancestral
Happy Returns
Ascendant Here On…