Rampage Zine #3 Fanzine Kritik
Rampage Zine #3 Fanzine Kritik
13. Dezember 2019
Shinrabansho von Bliss-Illusion CD Kritik
Shinrabansho von Bliss-Illusion CD Kritik
15. Dezember 2019
Rampage Zine #3 Fanzine Kritik
Rampage Zine #3 Fanzine Kritik
13. Dezember 2019
Shinrabansho von Bliss-Illusion CD Kritik
Shinrabansho von Bliss-Illusion CD Kritik
15. Dezember 2019
a word interview on black background

Photo by Anna Tarazevich on Pexels.com

Mit Jan Off konnte ich via E-Mail vor Jahresende noch ein Interview führen. Vielen Dank daher für die kurzfristige Zusage und die zügigen Antworten. Wir haben über Braunschweig, Umzüge für Inspiration, Neues und Altes, Empfehlungen der eigenen Bücher, Musik und mehr gesprochen.

Du bist in Braunschweig großgeworden. Die Stadt besticht weder durch „ist viel los“ noch durch etwaige architektonische Schönheiten. Ich war allerdings nur auf einem von mehreren Zivi-Lehrgängen dort. Hab einen Namensvetter (Olli von der Band Wishmopper) in seinem (?) Plattenladen (Betty Fort Clinic?). Ich hab Gedächtnislücken. Abgesehen von Daily Terror, Wishmopper, Such A Surge, Tanzende Kadaver, Forkupines fallen mir ad hoc auch keine (punkigen) Bands ein. Wie ist es dort aufzuwachsen? Welche Bands kennst Du noch?

Die Sluts, um den einzigartigen Schlampe, und die Kanalratten gehören noch in diese Liste. Und natürlich meine eigene Band namens Der Chef hat vier Eier. Nicht zu vergessen Besoffen zu Fuß, die ich stets um ihren klangvollen Namen beneidet habe. Daily Terror dürfen dafür wieder gestrichen werden, die waren mindestens Grauzone. Braunschweig ist für Heranwachsende gerade noch groß genug und bietet mit Hannover, Hamburg und Berlin drei Städte, die innerhalb weniger Stunden erreichbar sind. In den goldenen Tagen meiner Jugend war Trampen ja noch gang und gäbe. Langweilig war mir also nie. Ich bereue es allerdings nicht, Braunschweig mit 22 oder 23 verlassen zu haben und auch danach noch häufiger von Stadt zu Stadt gezogen zu sein. Dreißig Jahre lang oder länger mit den immergleichen Kapalken an den immergleichen Theken die immergleichen Themen durchzukauen, lässt das Hirn schnell zum Komposthaufen mutieren. Und dem Schreiben von Büchern ist diese Art von Routine auch nicht dienlich. Es sei denn, du möchtest fünfzehnmal in Folge denselben Roman abliefern.

Du wirst oft mit schlüpfriger Literatur in Verbindung gebracht, aber auch mit Büchern, die nichts anbrennen lassen, oft auch eine deutliche Sprache innehaben. Wie kommt das bei der Leserschaft an? Warum hast Du den Stil gewählt und wie viel davon ist letztendlich wahr?

Das Wort „schlüpfrig“ verbinde ich ganz unbedingt mit schlimmen 70er-Jahre-Sex-Filmchen à la „Unterm Dirndl wird gejodelt“ oder „Laß jucken, Kumpel“. Schlüpfrig ist bei mir gar nichts. Dort, wo es mir geboten scheint, verwende ich eine explizite Sprache, wobei der Ausdruck „explizit“ in einer Zeit, in der bereits Zwölfjährige Bukkake-Videos auf dem Handy haben, seltsam altbacken anmutet. Meine Leserschaft schätzt meine Bücher offenkundig, sonst wäre sie nicht meine Leserschaft. Wo der eigene Stil herkommt, ist immer eine spannende Frage. Bei Autoren speist sich derselbe in erster Linie aus dem, was sie selbst gelesen haben. Der Input kann gar nicht groß und breit genug sein. Daneben spielt natürlich die eigene Lebenswirklichkeit eine Rolle. Wer im Knast gesessen hat, schreibt sicher anders als der Absolvent eines theologischen Seminars. Auch der Stoff selbst fordert stets seine eigene Sprache. Eine Dystopie will ganz unbedingt in einem anderen Tonfall erzählt werden als humorige Jugenderinnerungen. Was den Wahrheitsgehalt angeht: Selbst das verrückteste Erlebnis verträgt noch ein Prise Phantasie. Davon ab schreibe ich ja Belletristik und keine Reportagen, bin also in erster Linie der gut erzählten Geschichte verpflichtet, nicht der Wahrheit.

Du hast kürzlich ein Foto gepostet und das Ergebnis einer „Kauft meine Bücher, dann spende ich das“-Aktion bekanntgegeben. 555 Euro gingen an den Kurdischen Roten Halbmond. Was hat es damit auf sich? Wieso? Weshalb? Vielleicht kannst Du ein bisschen was zu Deinen Beweggründen erzählen.

Rojava, die hauptsächlich von Kurden bewohnte autonome Föderation in Nordsyrien, stellt eine der wenigen fortschrittlichen Inseln der Region dar. Mit tausenden von Toten durften die Kurden im Kampf gegen den IS den willigen Erfüllungsgehilfen geben, nun wurden sie von den USA und Europa fallengelassen und Erdogans Expansionsbestrebungen geopfert. Die türkische Armee und die ihr zugehörigen dschihadistischen Söldner verfolgen das Ziel, so viele Kurden wie nur möglich aus der Grenzregion zu vertreiben und durch arabischstämmige Flüchtlinge zu ersetzen. Es muss hier also von einem Verbrechen gesprochen werden, das gern mit dem Ausdruck „ethnische Säuberungen“ verharmlost wird. Da mich derlei nicht kaltlässt, wollte ich wenigstens ein bisschen Geld einsammeln. Und weil viele Hilfsorganisationen das Kriegsgebiet verlassen haben, war schnell klar, dass die Kohle an den Kurdischen Roten Halbmond gehen würde. Ich veranstalte häufiger derartige Soli-Aktionen, zum Beispiel für „United we stand“ oder „Solidarity at Sea“ und es flasht mich immer wieder, wie großzügig viele Menschen sind. Es kommt nicht selten vor, dass jemand für zwei Bücher 50 oder 60 Euro rüberschiebt. Daneben gilt einfach: Wer sich als Künstler im Jahr 2019 zum Rechtsruck, zum Sterben der Menschen im Mittelmeer und in der Wüste, zum Klimawandel und vielen anderen Schweinereien nicht klar positioniert, sollte sein Berufsbild dringend überdenken.

Was sagt denn Dein Bekanntenkreis dazu, gegebenenfalls im Buch aufzutauchen, vermengt mit anderen Erlebnissen? Oder lesen die Deine Bücher gar nicht? Gab es schon mal unliebsame Ereignisse deswegen?

Ich greife selten auf reale Figuren zurück (eher vermische ich Anteile verschiedener Personen zu einer neuen). Und wenn doch, tauchen die ja nie mit Klarnamen auf. Natürlich musst du dann auch noch ein paar andere Details verändern, um die Identität zu verschleiern. Bis auf eine Ausnahme ist mir das bisher stets gelungen. Im benannten Fall war ich allerdings derart nachlässig, dass ich das Buch nach Rücksprache mit dem Verlag kurzfristig vom Markt genommen und noch einmal umgeschrieben habe.

Angsterhaltende Maßnahmen war, wenn ich mich recht erinnere, mein erstes Buch von Dir. Welche/s würdest Du zum Einstieg empfehlen?

Wenn Leute, zum Beispiel nach Lesungen, an mich herantreten und mich fragen, welches Buch aus meinem Repertoire sie erwerben sollten, stelle ich zumeist ein paar Gegenfragen: Roman oder Kurzgeschichtenband? Dystopie oder Liebesgeschichte? Punkrock? Linke Szene? Drogen? Pornographie? Ich drücke mich also vor einer konkreten Empfehlung. Denn wie jeder gute Vater liebe ich all meine Kinder gleichermaßen. Oder versuche es zumindest. Eins allerdings empfehle ich dann doch, nämlich den ersten Teil von „Vorkriegsjugend“ vor dem zweiten zu lesen.

Klara war eine Kollaboration zwischen Dirk Bernemann, Jörkk Mechenbier und Dir – es reimt sich! – wie ging die Schreiberei dabei vonstatten? Wurde Rücksprache gehalten? Wovon handelt die Geschichte? Wird es Derartiges noch einmal geben? Von wem stammte die Idee?

Von wem die Idee stammt, habe ich vergessen, wahrscheinlich von einem der größten Ideenlieferanten überhaupt, also dem Alkohol. Rücksprache gehalten haben wir nicht. Hätten wir das getan, wäre das Buch wohl heute noch nicht fertig. Schließlich wohnen wir in verschiedenen Städten und haben allesamt ziemlich viel um die Ohren. Das ist auch der Grund, warum es mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Fortsetzung geben wird. Der Weltruhm hat uns alle einfach zu fest im Griff.

Der zweite Teil zu Vorkriegsjugend wird vorgelesen. Ist eine vorgetragene Version zum ersten Teil ebenfalls in Planung? Wird es je einen dritten Teil geben?

Es existiert eine eingelesene Version von Teil 1. Allerdings hatte der Verlag damals nur Geld für eine Aufnahme von etwa 70 Minuten Länge. Demgemäß konnte maximal ein Drittel des Buches auf den Tonträger gebannt werden. Einen dritten Teil schließe ich aus. Die Geschichte von Properski, Melzer und Vornefett ist auserzählt.

Als ich Dich wegen diesem Interview angefragt habe, erwähntest Du, dass es einen neuen Roman zu schreiben gilt. Kannst Du dazu schon etwas erzählen?

Ich hatte einen Porno angefangen, dann aber begriffen, dass ich mich in der aktuellen Situation unmöglich mit Fickgeschichten abgeben kann. Stattdessen habe ich nun einen politischen Roman in der Mache, der hoffentlich unterhaltsam genug ist, um eine breite Leserschaft zu finden.

Was sind neben Deinem im Prozess befindlichen Roman Deine weiteren Projekte?

Ich schreibe einen Blog namens „Menschheit? Abschalten!“, betreibe mit meinem geschätzten Kollegen Dr. Hagestolz einen Podcast namens „Alles Könnte Anders Sein“ und agitiere meine Umwelt rund um die Uhr mit Botschaften via Facebook und Instagram.

Was kannst Du den Lesern mit auf dem Weg geben?

Bekämpft Nazis in Wort und Tat, solange es noch möglich ist.

Oliver Lippert
Oliver Lippert
Schreibe schon seit Mitte der 1990er und habe seit Oktober 2020 zwei Bücher ("Kaleidoskop - Abschnitt 1 -" und "Kaleidoskop - Abschnitt 2 -") veröffentlicht.